Mut zur konstruktiven „Unruhe“

Von Ralf Friedrichs

Offene, faire und kritische Debatten zwischen Verein, Fans & Mitgliedern und Medien sind gefragt.

Der 1. FC Köln hat am Wochenende den Abstieg Nummer sechs eingetütet. Die 3:2 Niederlage in Freiburg, wo der FC aus Tradition eh nur zum Punkte abgeben hinfährt, besiegelte das, was im Prinzip bereits seit vielen Monaten klar war. Die zweite Liga darf sich somit erneut auf ein echtes „Brett“ freuen, zumindest was die reine Größe des Vereins angeht. Denn der 1. FC Köln steht, was die Mitgliederanzahl (101.000) bezgl. reiner Fußballvereine angeht, auf Platz 15, wohlgemerkt weltweit! Mannschaften wie Real Madrid (92.000), Mönchengladbach (83.000) und der angeblich so große HSV (78.000) müssen sich dahinter einreihen. In Deutschland ist der Effzeh die Nummer vier: Die Bayern als  die weltweite Nummer 1 thronen  mit 290.000 Mitgliedern vor den Ruhrpott Vereinen aus Dortmund (153.000) und Schalke (150.000). Da aber die Münchner im Prinzip ein ganzes Bundesland wie Bayern schon laut Namen repräsentieren und der BVB und S04 ganze Regionen und Städte im Ruhrgebiet für sich vereinnahmen, ist der FC – trotz ebenso der Einbindung eines gewissen Umkreises – unter den Stadtvereinen so etwas wie die heimliche Nummer 1.

Doch wie man wieder einmal erkennen kann, steht die reine Größe nicht automatisch für Stärke. Denn all die vielen Mitglieder verhindern keineswegs sportliche Fehlentwicklungen oder falsche Entscheidungen von Funktionsträgern. Sie haben generell wenig Einfluss auf die Geschicke des Vereins. Dies, obwohl es einen Mitgliederrat gibt, der aber von den Vereinsbossen nicht allzu ernst genommen wird, so zumindest die Eindrücke der letzten 24 Monate. Denn dieser Mitgliederrat äußert sich kritisch, etwas was in Köln seit geraumer Zeit nicht gern gesehen wird.

Destruktive Kritik will kein Mensch

Generell hat der 1. FC Köln in den letzten Jahren eine neue Strategie entwickelt, die sich zunächst auch sehr gut anhört. Kritik an den Entscheidern bringt Unruhe und Unruhe schadet, Unruhe ist schlecht. Wenn Unruhe im Umfeld droht, wenn Kritik geäußert wird, dann ist aus dem Geißbockheim sehr schnell der Vorwurf der negativen Einflussnahme zu hören. Unruhe stört die nachhaltige Arbeit, von außen reingetragene Störfeuer verunsichern Mannschaft, Trainer und Manager. So etwas darf nicht sein und es wird gegeißelt, bereits im Ansatz erstickt. So weit, so richtig.

Aber nur dann, wenn es sich um destruktive Kritik handelt, wenn tatsächlich negative Gedanken nur um des negativen Gedanken willens in den Verein reingetragen werden. Dann hat der Verein und mit ihm seine Führungspersönlichkeiten sogar die Pflicht „dazwischenzuschlagen“ und für Ruhe zu sorgen. Hierbei hat der FC aber in letzter Zeit die Maßeinheiten neu definiert und sich dabei keinen Gefallen getan. Denn es ist etwas entstanden, was niemals passieren darf, eine fast schon keimfreie Wohlfühloase.

Von Rücksichtsnahme zur Wohlfühloase?

In der Vergangenheit konnte man in der Tat Einflüsse aus dem Umfeld für Fehlentwicklungen verantwortlich machen. Vor dem Abstieg 2012 war der 1. FC Köln quasi Freiwild für die Medien, ähnlich wie heute der HSV behandelt wird, so wurde auch der FC als Chaosverein ohne jegliche Kompetenz gesehen und beschrieben. Auch wenn es in der Tat erhebliche Irrtümer und Fehlleistungen zu bestaunen gab, die Medien feuerten aus allen Rohren und übertrieben es sicher das eine oder andere Mal dabei. Nach dem Abstieg 2012 stand der Verein kurz vor der Insolvenz, quasi vor rauchenden Ruinen. Die berühmte „schwarze Wand“ von Müngersdorf, die es im letzten Heimspiel gegen Bayern München zu sehen gab, symbolisierte dies. Nach diesem Abstieg, dieser „Stunde null“ des Vereins, machte sich die noch frische Vorstandscrew um Werner Spinner ans Werk und baute den Verein wieder neu auf. Unterstützt wurden sie dabei vom „Umfeld“, der Fan gab eine überlebenswichtige Anleihe, die Mitglieder wurden zahlreicher und die Medien wurden zahmer und rücksichtsvoller. Es schien eine stillschweigende Übereinkunft zu herrschen, denn so gut wie alle Artikel waren wohlwollend. Es herrschte eine fast schon kollegiale Zusammenarbeit zwischen Verein und Medien.

Dies war kein Wunder, denn der Club traf viele gute Entscheidungen. Nach einem einjährigen Intermezzo von Holger Stanislawski fand man in Peter Stöger den idealen, ja fast schon perfekten FC-Trainer. Dieser hatte mit einer auf Sicherheit und Defensivstärke basierenden Spielweise ein passendes Fundament für ein eher durchschnittliches Team gefunden, welches vom neuen starken Mann am Geißbockheim, Jörg Schmadtke, mit der Zeit verstärkt wurde. Spieler wie u.a. Anthony Modeste, Dominique Heintz, Leo Bittencourt und andere fanden den Weg in den Kölner Grüngürtel.

Eine Zeitlang war alles perfekt, fast alles …

Es war alles gut beim Effzeh, der Aufstieg gelang und zwei Jahre lang hatte man mit dem Abstieg rein gar nichts zu tun. Allerdings gab es Anlass zu ersten Kritik, denn die Spielweise der Geißböcke war zum Großteil unattraktiv. Ein 0:0 war dem Trainer lieber als die Gefahr, am Ende noch einmal ausgekontert zu werden. Erste, zarte Kritik an dieser Spielweise wurde aber derb gekontert. Von einer zu hohen Erwartungshaltung war dann schnell die Rede, von Unruhe, die von außen reingetragen werde usw. Und die breite Masse gab den Vereinsoffiziellen Recht. Dabei war es schon diskussionswürdig, warum in Minute 75 dann doch wieder ein weiterer Innenverteidiger eingewechselt wurde, wenn doch der Gegner nicht gerade Angst und Schrecken verbreitete.

Man muss dazu sagen, dass diese Kritik neu war, denn im Prinzip hatte es zunächst lokal, dann aber auch überregional Lobeshymnen der Medien gegeben. Und dies tat allen gut, nach Jahren voll triefendem Hohn und Spott wurde der FC nun landesweit über den grünen Klee gelobt. Als die Süddeutsche den FC mit einem schwäbischen Musterverein verglich, war dies einem Ritterschlag gleichzusetzen. Die sogenannten „Leitmedien“ feierten den FC, der auf einmal so sympathisch auftrat. Der charmant-humorvolle Wiener Peter Stöger, der bärbeißig-brummelige Düsseldorfer Jörg Schmadtke, der seriöse Ex-Bayer Vorstand Werner Spinner, der jecke aber irgendwie geläuterte Toni „Tünn“ Schumacher, … sie alle wurden regelrecht gefeiert. Auf allen Sportseiten und auf allen TV-Kanälen.

Das neue Credo des FC, Schmadtkes „Ruhiiiig bleiben“

Wie und wo wollte man etwas kritisieren? Es war doch alle prima … und sollten die Fans einmal etwas zu euphorisch werden, dann wurde Schmadtkes „Ruhiiiig bleiben“ Video entgegengesetzt. Überhaupt wurde dieses „Ruhiiiig bleiben“ zum neuen Credo vieler FC-Fans. „Bloß keine Unruhe aufkommen lassen, Unruhe hat uns 2012 fast kaputt gemacht.“ Diskussionen wurden somit schwieriger, im Umfeld und medial.

Offizielle Fanabende wurden zu reinen Jubel-Veranstaltungen, die Mitgliederversammlung ebenso. Diskussionen um eventuelle Verbesserungsoptionen auf diversen Ebenen wurden nicht toleriert. Der Verein wurde generell restriktiver gegenüber leicht geübter Kritik. Der Autor dieser Zeilen hat dies auch einige Male bei Talkabenden rund um den FC-Stammtisch gespürt. Kritik an der Spielweise? „Man muss doch bedenken, wo wir herkommen.“ Kritik an der Spielidee, die sich im Prinzip seit Jahren nicht änderte, also lange Bälle auf Ujah, später Modeste … sie wurde niedergebügelt. Erste, sehr berechtigte Kritik an der Transferpolitik, bereits im Sommer 2016 … „also bitte, keine Unruhe.“

Reizklima kann förderlich sein

Man kann folgende These aufstellen: Die Verantwortlichen im Geißbockheim hatten sich an die Lobesarien gewöhnt, sie wirkten mit der Zeit der Realität entrückt und sie fühlten sich fatalerweise auch noch bestätigt, als der 1. FC Köln den fünften Platz und damit erstmals nach 25 Jahren die Rückkehr in den Europapokal schaffte. Dabei war dieser fünfte Platz u.a. auch der „Unruhe“ zu verdanken. Mit einem zu dieser Zeit mutigen Artikel im Express hatte Autor Alexander Haubrichs im Endspurt rund um diesen Europlatz für Furore gesorgt. Der FC hatte sich nach zwei äußerst peinlichen Niederlagen gegen Gladbach und in Augsburg fast schon selbst um alle Chancen gebracht, als dieser Artikel in der Tat für „Unruhe“ sorgte. Denn dieser Text nannte real existierende Missstände, die Kritikern, die es durchaus gab, schon lange bekannt waren. Im Verein war man, gelinde gesagt, stinksauer und ließ dies den Autor auch deutlich spüren. Aber, es war ein Reizklima geschaffen worden. Kurzfristig bestand eben keine Wohlfühloase mehr, die Mannschaft steigerte sich nun im Endspurt im erheblichen Maße. Schon im nächsten Spiel gegen Hoffenheim sah man eine ganz andere Mannschaft, die nur durch ein unglücklich, spätes Gegentor den Sieg verpasste. Aber sie sah anders aus, als in den Vorwochen. Eventuell ist ein Reizklima zur passenden Zeit doch nicht leistungsschwächend. Es führte den FC dann tatsächlich, mit etwas Glück, nach Europa.

Kritik kann und soll eben konstruktiv sein. Sie ist nicht automatisch negativ. Sie muss immer begründet sein, die Argumente müssen passen … und das Gegenüber muss diese Kritik annehmen und sich damit auseinandersetzen. Dann kann Kritik viel bewirken. Es ist im Grunde nichts anderes, als in der Familie. Jeder liebt seine Kinder, aber ohne Kritik kommen Kinder kaum weiter. Dies gilt auch im umgekehrten Fall, wenn zumeist bereits größere Söhne und Töchter an ihren Eltern Kritik üben. Dann muss man sich als Elternteil damit auseinandersetzen, auch wenn es einem nicht immer passt.

Kritikresistenz und Arroganz erobern das Geißbockheim

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Überdenkt Werner Spinner seinen Kurs? Viele sagen: Er sollte.

Beim 1. FC Köln war diese Einsicht mehr und mehr verloren gegangen, so wirkte es jedenfalls. In der Sommerpause 2017 jedenfalls wurde immer klarer, dass die zuvor extrem erfolgreichen und gut arbeitenden Führungskräfte im Geißbockheim komplett das Maß verloren hatten. Präsident Werner Spinner griff vehement die Mitgliederinitiative „100% FC“ an, die nichts anderes wollte, als seriös und ergebnisoffen über einen veränderten Satzungsentwurf zu diskutieren. Es war der Präsident, der „Lunten“ legte, nicht die Initiative. In diversen Interviews wurden weiterhin Kritiker der China-Pläne des FC verbal niedergebürstet. Die katholische Kirche nahm Spinner in einem Interview ins Gebet, „sie solle doch vom FC lernen“. All diese Auftritte und noch einige mehr kann man nicht mehr als selbstbewusst bezeichnen, sie zeigen eher eine Form der Arroganz. Eine Arroganz, die scheinbar auf immer stärker werdende Kritikresistenz basierte. Der Begriff vom „Elfenbeinturm“ machte in Fankreisen als Bezeichnung für die Chefetage die Runde. Dazu passen die auch immer wieder geäußerten Vorwürfe und die Missachtung des Mitgliederrats. Dieser Mitgliederrat repräsentiert über 101.000 weitere zahlende Angehörige des Vereins. Leute, die der 1. FC Köln dringend haben wollte, dafür kostspielige Werbekampagnen inszenieren ließ. Wenn man diese Menschen haben will, dann muss man deren Mitbestimmungsrechte ernst nehmen und das Gremium dazu ebenso. Auch wenn dem Vorstand eventuell der ein- oder andere Vertreter persönlich nicht passt oder deren Meinung. Damit hat man sich auseinanderzusetzen und nicht nach Gutsherrenart dem Gremium gegenüber zu agieren. Dieser Eindruck aber wird vermittelt.

Offene Debatte über den Job Schmadtkes wurde nicht geführt

Auch der Geschäftsführer Sport, eh bereits mit einem starken Selbstbewusstsein ausgestattet, schlug mehr und mehr diese Arroganz-Richtung ein. Die Wahl des Magazins „11FREUNDE“ im Mai 2017 zum Manager des Jahres wird dies nicht zwingend gelindert haben. Jedenfalls bügelte Schmadtke Kritiker, die sich in der Sommerpause 2017 und nach dem schwachen Saisonstart wegen der Transferphase durchaus zu Wort meldeten, als ahnungslos ab. Er selbst sah sich als Opfer, wähnte sich als Gehetzter der Medien und deren „Kampagnen“ und fühlte sich als „meistgehassten“ Mann in Köln, wie er auf einer Diskussion ausführte um dann kurze Zeit später Geschichte zu sein.

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Große Verdienst zu Beginn, am Ende stark kritisiert. Jörg Schmadtke polarisiert noch immer.

Man kann mutmaßen, dass eine offen geführte Debatte eine kritischere Sicht auf Schmadtkes Arbeit – auch bereits VOR dem desaströsen Transfersommer 2017 – ermöglicht hätte. Eventuell hätte dies auch zu mehr Kontrolle dieses Tätigkeitsfelds geführt, aber man verließ sich auf Gottvertrauen und ließ Schmadtke weiter agieren, … manche behaupten eher „nicht agieren“.

Peter Stöger hingegen blieb aber der charmante Trainer und wurde in der breiten Masse von jeglicher Kritik ausgespart. Dabei gab es auch hier Ansätze, die im Prinzip sich kaum verändernde Spielweise war nur ein Aspekt. Man kann auch die bereits legendäre Standardschwäche des FC nennen. Aber Stöger war in Köln „everyones Darling“, jemand den man gerne zum Kumpel hat. Immer bereit für ein Selfie, ein Autogramm oder ein nettes Wort. Bürgernah, offen für Köln und seine Vorzüge wie Karneval und Feiern aller Art. Dies wurde uns auch immer wieder vor Augen geführt, denn die Medien zeigten uns den weltoffenen Trainer, wie er in Köln agierte, in die Kameras lächelte und charmante Dinge sagte.

Die Treue zu Stöger: Beeindruckend! Sympathisch! Menschlich! Und falsch!

Es mag sein, das ihn all diese Eigenschaften bereits früher vor Kritik bewahrt haben. Doch in der sportlichen Krise nach dem Sommer 2017 wurde ein regelrechtes Schutzprogramm aufgebaut. Der Trainer war alleine durch die Europateilnahme sakrosankt geworden und sein offenes Leben in der Kölner Gesellschaft führte nun zu einem öffentlichen Schutzmechanismus von dieser Seite. „Ich stehe zu Peter Stöger“ (wohlgemerkt nicht „ich stehe zum 1. FC Köln“) war selbst nach zig Niederlagen aus allen Ecken zu hören. Insbesondere in den sozialen Netzwerken konnte man diesen bemerkenswerten Satz lesen. Nicht selten mit einem Profilbild von sich eben mit diesem Peter Stöger zusammen. Das war beeindruckend! Sympathisch! Menschlich! Und es war falsch!

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Lange beliebt und fern jeder Kritik: Volkstribun Peter Stöger

Der jahrelange Verzicht auf Kritik auf allen Ebenen führte nun dazu, dass im Verein keiner der „Königsmörder“ sein wollte. Den Volkstribun Stöger entlassen? Den Mann, der uns Europa brachte?  Den Sympathieträger schlechthin? Das Volk liebte ihn doch, aber wer diesen Mann nun stürzt, der wird öffentlich gegrillt. Obwohl diese Entscheidung sportlich irgendwann (über den Zeitpunkt wird immer noch in der Szene diskutiert …) überfällig war, zögerte der Vorstand aus Angst vor der öffentlichen Meinung. Mehrfach verpasste die Führungsebene den Zeitpunkt, bis der 1. FC Köln nach 14 Spieltagen immer nur noch drei Punkte aus drei Remis aufzuweisen hatte. Heute weiß man, dass man eigentlich bereits zu diesem Zeitpunkt abgestiegen war. Letzten Endes entließ sich Stöger dann selbst, durch eine legendäre Pressekonferenz vor dem Spiel auf Schalke, die einfach keine andere Entscheidung mehr zuließ. Das der Wiener eine Woche später im BVB-Outfit erschien, soll hier nicht weiter thematisiert werden.

Was also lehren uns die letzten Jahre?

Man kann es so sehen, das sich in Köln, zunächst schleichend, dann immer schneller Fahrt aufnehmend, eine kritiklose Wohlfühloase aufgetan hat. Es hat sich ein Klima ergeben, welches teilweise auch bewusst erschaffen wurde, in dem es sich alle Beteiligten zu leicht gemacht haben. Aus Rücksichtnahme wurde schnell Gewohnheit, die „Ruhiiiig bleiben“ Philosophie war nur scheinbar der richtige Weg oder wenn, dann nur zu einem gewissen Teil. Wir haben verlernt, Dinge konstruktiv zu kritisieren oder auch, konstruktive Kritik anzunehmen. Das gilt nicht nur für den Vorstand, den Trainer oder den Manager, egal wie die Personen heißen. Es gilt auch für den Fan an sich, der dieses Klima mitträgt oder eben nicht.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Kollektive Unruhe braucht kein Mensch, erst recht nicht destruktives Schlechtreden oder Miesmacherei. All das bleibt weiterhin schädlich und muss weiter bekämpft werden. Aber wir brauchen wieder eine Kultur im Verein, die konstruktive und mit Argumenten belegte Kritik zulässt. Der Vorstand sollte es vorleben, die Mitglieder und Fans ebenso und auch die Medien sollten eine gewisse Kontrollfunktion ausüben.

Wir waren in den letzten Jahren nicht ehrlich zueinander, wir haben es uns zu schön geredet, daher haben wir nicht wahrhaben wollen, dass spätestens ab Sommer 2017 im Verein etwas schief lief. Aber wir haben es nicht sehen wollen, die Diskussion darüber nur an der Oberfläche geführt. Um es klar zu sagen. Wir waren zu ruhig!

Deswegen folgt der Aufruf zur „konstruktiven Unruhe“. Nie wieder „Ruhiiiig bleiben“  (der FC sollte das Video löschen). Niemals wieder dürfen wir alle den Zeitpunkt verpassen, den Mund aufzumachen und Fehlentwicklungen anzusprechen. Auch wenn „Gegenwind“ droht, die Debatten darüber müssen geführt werden. Öffentlich-fair und im kleinen Kreis, von Fan zu Fan, von Mitglied zum Mitglied und gegenüber unserem geliebten 1. FC Köln. Damit ein solch völlig unnötiger und überflüssiger Absturz nie wieder passiert!

 

PS: Auch der Autor dieser Zeilen überdenkt seine Entscheidung, eine langjährige Dialogplattform zu beenden  ….

 

Kommentar zu Jonas Hector

Von Ralf Friedrichs

Die Nachricht kam genau richtig, nach den Tränen des Vortags platzte heute Mittag die Info rein, das Jonas Hector dem 1. FC Köln die Treue hält. Trotz des 99,9999% sicheren Abstiegs – den er übrigens nur zum Teil mitverbockte (fast die komplette Hinrunde verletzt) – geht er nun nicht nur mit in die zweite Liga, sondern verlängert sogar noch seinen Vertrag bis 2023. Ein geradezu unschätzbar wichtiges Signal, wie ja auch allgemein kommentiert wird.

 

Für mich war die Nachricht keine Sensation, aber überrascht bin ich dennoch, das sich die Anzeichen seines Verbleibs tatsächlich bewahrheitet haben. Schon Ende März erzählte Stefan Ruthenbeck beim „Quo Vadis, 1. FC Köln“ Talk, das dies recht wahrscheinlich sei. Außerdem leistete er sich in den letzten zwei Jahren bereits den Luxus, Anfragen von Paris St. Germain, FC Barcelona oder dem FC Chelsea abzulehnen. Nun waren scheinbar Bayern und der BVB an ihm dran. Aber Hector bleibt in Köln.

Jonas Hector ist eben ein ganz besonderer Profi, vielleicht nicht der leutseligste Typ, der Kameras, Autogrammjäger und Fantreffs sucht. Aber eben ein zuverlässiger und erdverbundener Mensch, der in Köln seine zweite Heimat gefunden hat.

Für mich bleibt sein Auftritt beim FC-Stammtisch Talk im November 2013 natürlich in Erinnerung, am Folgetag seines ersten Profitors beim 4:0 über Union Berlin. Herrlich, wie er damals – übrigens durchaus charmant und erzählfreudig – darüber sinnierte, das er „gar nicht wusste, wie man nun jubeln soll“. Auch ansonsten war sein Auftreten ggü. Fans und allen anderen vor Ort tadellos (gab Autogramme en massé, siehe auch Fotos). Als auf dem Tisch ein Glas umkippte, spielte er – obwohl an der Aktion unschuldig – den „Ausputzer“ und wischte den Tisch wieder sauber. Eigentlich eine unwichtige Banalität, aber irgendwie doch passend zu einem Profi, der einfach anders ist als andere.

Sein Zeichen, welches er nun setzte, kann für den FC ganz wichtig sein. Zunächst natürlich wegen der Personalplanung, mit ihm und auch Marco Höger (dies soll nicht vergessen werden) hat der FC bereits zwei wichtige Säulen für den Kampf um den Aufstieg. Aber eben auch um die Fans, die einen unwürdig quälend-langen Abstieg ertragen mussten, wieder für die neue Spielzeit zu motivieren. Dies dürfte nach einem ersten Blick auf die Reaktionen vollauf gelungen sein.

Nun sind auch noch andere Spieler am Zug, warten wir es ab.

PS: Das es Hector ist, der das Cover des „So ein Tag – Der Weg nach Europa“ Buchs zum Europapokalerfolg ziert, scheint dann auch kein Zufall zu sein …

Der Abschied der 2012er ?

HORN-Tränen

Die Tränen des Timo Horn (Screenshot / Sky)

Selbst hartgesottenen FC-Fans und kritischen Geistern dürften die Szenen nach dem Abpfiff beim 2:2 des 1. FC Köln gegen Schalke nicht kalt gelassen haben. Die Tränen eines Timo Horn, der leere Blick von Jonas Hector oder der Anblick der ebenfalls völlig fertigen Dominik Maroh und Marcel Risse, sie zeigen das den Kernspielern einer Mannschaft, die ab dem Sommer 2012 den Weg von der 2. Liga bis nach Europa schaffte, … das ihnen dieser völlig unnötige Abstieg extrem zu Herzen geht.  Dabei besteht noch immer eine barbarisch-fiese 0,001 % Chance (geschätzt), diesen bitteren Gang zu verhindern. Das grausame Spiel des längsten Abstiegs aller Zeiten geht also weiter, auch jetzt – nach 31 Spieltagen – ist der FC theoretisch immer noch nicht definitiv zweitklassig. Aber nur die allerkühnsten Optimisten oder reine Mathematiker ohne fußballerischen Realitätssinn rechnen sich nun nach dem 2:2 gegen Schalke noch eine Chance aus.

Das Spiel lief ein wenig wie die Saison, ganz besch…..eiden angefangen, lange Zeit völlig chancenlos, um dann mit ein wenig Glück am Ende sogar die Chance zu haben, das Dinge noch für sich zu entscheiden.  Verdient wäre das aber nicht gewesen.

Horn, Maroh, Hector und Co. legten die Basis

Beim FC steht zunächst einmal sportliche Trauerverarbeitung an. Dazu gehört auch, diese Mannschaft bei allem Ärger nicht in Bausch und Bogen zu verdammen. Die erwähnten Spieler Horn, Maroh, Hector, dazu Haudegen wie Thomas Kessler und Matthias Lehmann haben ab 2012 die Suppe ausgelöffelt, die andere dem Verein eingebrockt haben. Ihre Leistungen auf dem Platz brachten dem FC den Aufstieg und waren die Basis für weitere Verstärkungen wie u.a. zwischenzeitlich Modeste oder Heintz, Höger und Bittencourt.

Abstieg – ein „Gesamtkunstwerk“ aller beim FC beteiligten Protagonisten

All das hat den FC bis ins jetzt schon legendäre Spiel bei Arsenal London geführt. Doch der wahr gewordene Traum endet nun in einem realen Alptraum, der Absturz ist riesig und er ist hausgemacht. Miserable Schiedsrichterentscheidungen, ein absurd umgesetzter Videobeweis und Verletzungsprobleme sind Teilgründe, dürfen aber keine Ausrede sein für den nun folgenden Gang in die Zweitklassigkeit. Es lag aber nicht nur an den sportlichen Leistungen der Spieler, sondern hauptsächlich an zuvor erfolgreichen Verantwortlichen, die an den Schaltstellen ab Sommer 2017 eklatante Fehler produzierten. Ein jeder mag für sich entscheiden, wer dies ist und wieviel Anteil daran zu vergeben ist. Letzten Endes ist der Abstieg des 1. FC Köln ein „Gesamtkunstwerk“ aller beim FC beteiligten Protagonisten.

Der Abschied der 2012er

Die Spieler haben in ihren ehrlichen Reaktionen gezeigt, dass ihnen der Abstieg des FC nicht am Allerwertesten vorbei geht. Es wäre ausgesprochen cool, wenn sie nun das nächste Zeichen setzen und ihren Beratern mitteilen, dass sie für einen Wechsel nicht zur Verfügung stehen. Aber dieser Gedanke ist dann wohl doch eine Spur zu naiv.

Realistischer ist wohl eher ein weiterer Neuaufbau, nicht alle Spieler werden bleiben, wie beispielsweise Dominik Maroh, der scheinbar nicht mehr gefragt ist. Weitere Spieler werden gehen und somit verabschiedet sich in den letzten drei Spielen wohl nicht nur der FC aus Liga 1, sondern eine Mannschaft, die den Fans ab 2012 lange Zeit viel Freude bereitete.

Die Zukunft des 1. FC Köln ist offen. Hoffentlich haben alle Verantwortlichen des 1. FC Köln aus dieser Horror-Saison gelernt.

Die Bilanz des Stephan Ruthenbeck

FC Stammtisch - 100

Stephan Ruthenbeck

Der Vertrag von Stephan Ruthenbeck als Cheftrainer des 1. FC Köln wird also nun, wie ursprünglich geplant, nur bis Saisonende Bestand haben. Eine Verlängerung des Kontrakts wird es ligaunabhängig nicht geben. Dies ist seit gestern öffentlich.

Egal, wie man nun allgemein zu dieser Maßnahme steht, dem Manne ist Dank zu zollen. Als er den Posten übernahm, war die Mannschaft ein sportlicher Trümmerhaufen, eine fast schon europaweite Lachnummer. Eine mit Hohn und Spott  – und dessen Steigerung – mit Mitleid belegte Karikatur eines Fußballteams. Die bis dahin errungenen drei Punkte ein Wert, der unterhalb aller Minusrekordmarken lag. Das Team hatte konditionell abgewirtschaftet und befand sich auf dem Höhepunkt einer rätselhaften Verletzungswelle, die nicht wenige Experten mit falschen Trainingsgrundlagen aus der Sommer-Vorbereitung erklärten. Ob dies so war, kann heute niemand sagen, wahr aber ist, um eine solche „Horrortruppe“ zu übernehmen, dazu gehört Schneid und wahrscheinlich muss man den Verein auch wirklich mögen, um sich so etwas anzutun.

Kaltstart aus dem Stand & „Trau dich“

Eine ausgedehnte Vorbereitung hatte Ruthenbeck nicht, er musste aus dem Stand funktionieren. Der Kaltstart ging zunächst in die Hose, in Belgrad verspielte das Team die Chance aufs Weiterkommen in Europa, auch gegen Freiburg setzt es eine erschütternde 3:4 Heimniederlage nach 3:0 Führung. Immerhin, der FC schoss wieder Tore, sogar nach Standards. Doch die mangelhafte Kondition war es am Ende, die dieses Spiel kippen ließ. Wenige Tage später war gegen die übermächtigen Bayern schon der Liga-Gegentorrekord befürchtet worden, doch der FC überraschte und verlor lediglich mit dem knappsten aller Ergebnisse. Fast wäre dem überraschend als Stürmer aufgestellten Forrest Gump-Klünter sogar noch das 1:1 gelungen. Es wäre nicht einmal unverdient gewesen. In Erinnerung blieb auch ein laut gerufenes „Trau dich“, welches Ruthenbeck dem eingewechselten Nachwuchsspieler Chris Führich für alle hörbar dank der Stadionmikrofone zurief. Der Youngster ließ daraufhin 3-4 Weltklasse Bayern stehen wie Slalomstangen, nur der Abschluss passte nicht.

„Trau dich“, dies galt auch für Stefan Ruthenbeck, der mehr und mehr in seine Rolle fand. Im 17. und letzten Spiel der Hinrunde gelang endlich der erste Sieg gegen den VfL Wolfsburg, die historisch schlechteste Hinrunde aller Mannschaften aller Bundesligazeiten – immerhin seit 55 Jahren – war mit Ach und Krach noch abgewendet worden. Dennoch waren die sechs Punkte insgesamt ein erbärmlich schlechter Wert, trotz des Erfolgserlebnisses rechnete kaum jemand mit einer Chance, noch einmal in den Abstiegskampf eingreifen zu können.

Drei Siege am Stück – Die Hoffnung überlebte

Doch der FC unter Ruthenbeck überraschte, die beiden ersten Spiele nach der Winterpause gegen Mönchengladbach und in Hamburg entschied der 1. FC Köln für sich. Gerade im Derby war sicher etwas Glück dabei, doch dies hatte sich das Team auch erarbeitet. Diese drei Siege am Stück, welche dem Verein schon lange nicht mehr gelungen waren, setzten Hoffnungen frei. Man glaubte an das Wunder, der FC schoss wieder Tore, war insgesamt wieder konkurrenzfähig geworden. In der kurzen Winterpause hatte sich auch die Kondition wieder erheblich verbessert und viele Verletzte kehrten zurück. Dazu kamen mit Terodde und Koziello zwei vielversprechende Neuzugänge. Die Standards, jahrelang eine Problemdisziplin, funktionierten dank erweitertem Training deutlich besser und sorgten wieder für Gefahr. Die Geißböcke wirkten wieder gefestigter.

Ein Parforceritt durch die weiteren Rückrundenspiele, die Ruthenbeck zu verantworten hat, zeigen dann Licht und Schatten seiner Trainerarbeit. Negativ fiel auf, dass das Team oftmals wichtige Big Points liegenließ, denn mehr als die erreichten drei Punkte aus den Heimspielen gegen Augsburg, Hannover, Stuttgart und Mainz waren sicher möglich. Auch gegen den BVB war ein Punkt drin, gerade in diesem Spiel zeigte sich, das der FC auf einem schmalen Grad unterwegs war, denn da ein Remis dem Verein kaum half, musste mehr riskiert werden. Das ging Dortmund in die Hose, der FC lief kurz vor Schluss in einen Konter und blieb ohne Punkte.

Licht und Schatten im ständigen Wechsel

Die schwächsten Darbietungen zeigte der FC dann auswärts in den Spielen in Frankfurt, Bremen und vor allem in Hoffenheim. Mit 6:0 wurde der FC nach allen Regeln der Fußballkunst im Kraichgau abgefertigt und war dabei sogar noch gut weggekommen. Niemand hätte sich beschweren können, wenn es zweitstellig ausgegangen wäre. In diesem Spiel versagten alle, die Spieler auf dem Platz, aber auch das Trainerteam, welches relativ hilflos dem Treiben zusah, viel zu spät eingriff und sich dabei auch fragwürdige Wechsel erlaubte. Ein wieder einmal schwarzer Tag, von dem sich das Team leider auch kaum erholte, wie sich im extrem wichtigen Spiel gegen Mainz 05 zeigen sollte.

Doch es gab auch positives zu sehen, nach dem ersten, richtigen Derbysieg über Gladbach schaffte der FC auch den Triumph im „Derby light“. Gegen Leverkusen zeigte das Team eine ganz starke Partie und lieferte die beste Gesamt-Heimvorstellung im Kalenderjahr 2018 ab. In Leipzig steigerte sich der FC nach schwacher erster Halbzeit enorm und gewann am Ende verdient bei der eher semi-beliebten Niederlassung eines Brauseherstellers.  Den Schwung aus diesem Spiel nahm man mit und spielte 44 Minuten faszinierend gut gegen den VfB Stuttgart, dem aber noch vor der Halbzeit zwei absurde Treffer gelangen. Ausgerechnet der sonst zuverlässige Timo Horn im Tor der Geißböcke erwischte einen üblen, gebrauchten Tag. Am Ende verlor der FC ein Spiel mit 2:3, welches er niemals verlieren durfte.

Fünf Partien sind nun noch zu spielen, die Chance, den Relegationsplatz zu erreichen ist noch da, aber sie ist durch sechs Punkte Abstand und einem miserablen Torverhältnis deutlich geringer geworden. Nachdem für alle nun klar zu sein scheint, das die zweite Liga nicht mehr zu verhindern ist, hat nun Armin Veh (Geschäftsführer Sport) verkündet, dass der Vertrag des Trainers nicht verlängert wird.

Einem Abstiegstrainer danken? Ausnahmsweise Ja …

Dennoch hat Stefan Ruthenbeck insgesamt einen mehr als nur ordentlichen Job gemacht. Muss man einem Trainer, der (höchstwahrscheinlich) am Ende den Abstieg als Abschluss-Ergebnis vorzuweisen hat, dafür dennoch danken? Im Normalfall natürlich nicht, in diesem Fall aber schon. Sein Punktschnitt von 1,2 deutet auf eine 41 Punkte-Saison hin und hätte den Klassenerhalt bedeutet. In der Rückrundentabelle liegt der FC auf Platz 10. Man kann sicher einiges an ihm, seiner Art, der Außendarstellung, seinem Training/Coaching kritisieren … man kann auch sagen, dass er nicht der richtige Trainer für die weitere Zukunft des 1. FC Köln ist.

Aber ganz sicher kann niemand behaupten, dass er in erster Linie den wahrscheinlichen Abstieg des 1. FC Köln zu verantworten hat. Er wird vermutlich den FC nicht vor dem Fall in die zweite Liga bewahren, aber er hat großen Anteil daran, dass dies nach der katastrophalen Hinrunde noch in sportlicher Würde und nachgewiesener Konkurrenzfähigkeit geschieht.

Also, Danke Stefan Ruthenbeck!

 

PS: … und wenn das „Wunder“ Klassenerhalt noch funktioniert, dann erhält dieser Text ein Update!

1-RF-Ruthe